Eine 100 % helvetische Meisterleistung

19. Februar 1877. In diesem Winter schneit es viel in Bern und seit Beginn des Monats herrscht eine eisige Kälte. Edmond de Grenus hat jedoch allen Grund zur Freude, denn er tritt heute seine neue Stellung im neuen Bundeshaus an. Der 37-Jährige leitet eine kleine Dienststelle, die gerade erst gegründet wurde – das Kontrollbüro. Zusammen mit seinen vier Mitarbeitern kontrolliert er ab jetzt völlig unabhängig die Buchhaltungen einer noch sehr jungen Bundesverwaltung. Diese hat damals 1093 Angestellte und ihre Ausgaben betragen 42 625 873 Franken im Jahr.

Seine Rolle als Leiter des Kontrollbüros erfüllt den Berner, der von Beruf Buchhalter und im Militär Oberst im Generalstab ist, mit grossem Stolz. Ein Rechnungsrevisor arbeitete zwar schon seit 1852 in der Verwaltung, war jedoch Teil der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV). Für den Bundesrat ist diese Trennung zwischen Finanz- und Kontrollbüro ein erster Schritt. Damit kommt er dem Parlament entgegen und erfüllt ihm einen Wunsch: In einem wachsenden Bundesstaat misstrauen nämlich gewisse Parlamentarier einer Verwaltung, die sich ausserhalb jeglicher Kontrolle bewegt. Sie möchten einen eidgenössischen Bundesrechnungshof.

13. Dezember 2017. Ich sitze in meinem Büro in der Monbijoustrasse 45 und versuche als zwölfter Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), die 140 Jahre nachzuvollziehen, die mich von Edmond de Grenus trennen.

 

«Diese stärkere Ausrichtung auf das Parlament geht jedoch nicht zulasten der Exekutive.»

 

Diese Kurzchronologie soll uns helfen zu verstehen, welche Entwicklungen die Bundesverwaltung, ihre Anstalten und Betriebe sowie die Finanzaufsicht durchgemacht haben. Erste Feststellung: Die Weltkriege führten vorübergehend zu einem starken Personalwachstum der EFK, um die Ausgaben zu kontrollieren, die mit den Mobilmachungen zusammenhingen. Nachlesen kann man das auch im Buch des Historikers Simon Rüttimann über den Alltag unserer Institution im Ersten Weltkrieg, das die EFK zu ihrem 140-jährigen Jubiläum herausgegeben hat. Zweite Feststellung: Das Kontrollbüro hat sich durch diverse Krisen stark verändert, angefangen bei der Beschaffungsaffäre der Mirage III über den Skandal bei der Pensionskasse des Bundes (PKB) bis zum Debakel mit dem Informatikprojekt INSIEME. Die Schlussfolgerung daraus? Die Veränderungen liefen in typisch helvetischer Manier ab: Schritt für Schritt wurde die EFK immer unabhängiger, passte seine Kompetenzen den Erfordernissen an und verstärkte seineVerfahren.

Fast niemand weiss, dass das Parlament beharrlich die Schaffung eines Bundesrechnungshofes gefordert hat. Er sollte das Parlament in seiner Oberaufsicht unterstützen und die klassische Asymmetrie zwischen den zahlreichen Fachleuten in der Verwaltung und dem Milizparlament ausgleichen. Die Geschichte zeigt, dass dieses Ziel heute erreicht ist, und das auch ohne Bundesrechnungshof. Die EFK unterstützt die Bundesversammlung, und seit über hundert Jahren steht sie der parlamentarischen Finanzdelegation (FinDel) zur Seite. Diese nimmt von allen Prüfungen der EFK Kenntnis und erteilt ihr immer wieder Aufträge. Seit Kurzem ist nun auch die Zusammenarbeit mit den Geschäftsprüfungskommissionen gesetzlich verankert. Legislativkommissionen hören von Zeit zu Zeit unsere Fachleute zu speziellen Themen an.

Diese stärkere Ausrichtung auf das Parlament geht jedoch nicht zulasten der Exekutive. Die EFK unterstützt seit ihrer Gründung den Bundesrat in seiner Aufsichtstätigkeit über die Bundesverwaltung. Unsere departements-
übergreifende Position erlaubt uns, allfällige Doppelspurigkeiten oder Zielkonflikte zwischen einzelnen Bundesämtern zu erkennen. Die EFK trägt dazu bei, «best practices» innerhalb der Bundesverwaltung zu verbreiten. Und schliesslich hat die EFK seit fünf Jahren im Auftrag des Bundesrates ein wachsames Auge auf die Informatikschlüsselprojekte des Bundes.

Eine kleine Besonderheit der Schweiz: Die EFK nennt sich immer noch nicht Bundesrechnungshof… sei’s drum! Solange das Gesetz ihr eine Unabhängigkeit und Kompetenzen verleihen, die durchaus mit denen ihrer grossen ausländischen Schwestern zu vergleichen sind oder sie in gewissen Bereichen sogar übertreffen.

Viel Spass beim Lesen und danke all jenen, die unsere Arbeit unterstützen!

Februar 2022

Michel Huissoud Direktor (2014–2022)